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Pfarrerin Frauke Leonhäuser
Maria Magdalena stand am Grab und weinte. Sie trauerte um Jesus. Er hatte ihr so viel bedeutet. Er hatte ihr Leben verändert. Endlich einer, der sie nicht verurteilt hatte.
Endlich einer, der in ihr den Menschen sah, mit seinen Stärken und Schwächen und mit seinen Sehnsüchten.
Von ihm hatte sie sich angenommen gefühlt.
Endlich einer, der zu ihr stand.
Und dann diese sich überstürzenden Ereignisse in Jerusalem. Das war nicht zu verstehen und kaum zum Aushalten. Erst der Jubel, mit dem die Menge Jesus in Jerusalem begrüßte.
Dann wendete sich das Blatt, und die Mehrheit schrie: kreuziget ihn, kreuziget ihn. Kurz darauf hatte sich der Ruf tatsächlich erfüllt.
Mit einer unglaublichen Gefühllosigkeit und Brutalität war dieser unschuldige Mann ans Kreuz geschlagen worden. Sie hatte es mit eigenen Augen gesehen. Zusammen mit Maria, seiner Mutter und Maria, seiner Tante. Danach hatten sie ihn in das Grab gelegt.
Da steht sie jetzt. Und – das Grab ist leer. Sie schaut noch einmal hinein und weint. Zwei Engel sieht sie dasitzen. Sie fragen: „Warum weinst du?“
Wann fließen Tränen? Tränen fließen, wenn ich emotional berührt oder bewegt bin. Unkontrollierbar fließt etwas über. „Nah am Wasser gebaut“, nennt man das im Volksmund. Manche weinen nie, können nicht weinen, auch wenn ihnen danach zumute wäre. Es gibt auch ein Weinen ohne Tränen.
Solange wir weinen, bleiben wir menschlich, berührbar: Tränen der Trauer und der Freude, heimliche und versteckte Tränen, geweinte und ungeweinte.
Wie auch immer. Tränen sollen und dürfen sein. Auch bei den Erwachsenen.
Aber Tränen lassen auch die Sicht verschwimmen. Ich kann meine Umgebung nicht mehr klar und deutlich wahrnehmen. Es fehlen ein offener Blick und eine Perspektive.
„Was weinst du? Wen suchst du?“ wird Maria ein zweites Mal gefragt. Vermutlich wischt sie sich jetzt die Tränen von der Wange und schaut genau hin. Da erkennt sie ihn:
„Rabbuni, Meister“. Jesus steht vor ihr. Er lebt.
Maria schaut und begreift und geht zu den anderen. Klar und unmissverständlich lautet ihre Botschaft:
„Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.“
Der Auferstandene hat ihre Tränen trocknen lassen.
Noch scheint die Stimmung verhalten. Die Freude bricht sich erst langsam Bahn.
Wie ist das bei Ihnen mit der Osterfreude in diesem Jahr?
Nicht wissend, wie es Ihnen im Einzelnen mit Ostern geht, erleben wir draußen in der Natur gerade wunderbare Frühlingstage. Von der Sonne wird die Natur mehr und mehr zum Leben erweckt. Die Kastanienknospen prall und kurz vorm Aufbrechen. Vereinzelt blühen schon die Kirschen. Das Gelb der Schlüsselblumen leuchtet in der Sonne. Buschwindröschen säumen den Gehölzrand. Ein grüner Schimmer hängt in den Weiden. Das Rot der Tulpen linst durch den Knospenrand. Die Osterglocken haben ihre besten Tage sogar schon hinter sich. Dazu tiefblauer Himmel ohne Kondensstreifen und nachts ein besonders heller Vollmond. Eigentlich wunderbar.
Wenn wir die Zeitung aufschlagen, Nachrichten hören oder ins Internet schauen, verändert sich das Bild drastisch.
Manchmal frage ich mich in diesen Tagen, was ist eigentlich wirklich? Was ist real?
Nicht wenige von Ihnen werden diese andere medial vermittelte Wirklichkeit aber gerade am eigenen Leib deutlich spüren: isoliert in der Wohnung sitzend, gelangweilt ohne Freunde zuhause, besorgt um die Gesundheit, den Job, die wirtschaftliche Zukunft. Erschöpft von den besonderen Umständen der Arbeit, getrennt von denen, mit denen ich gerne zusammen wäre, enttäuscht über die geplatzte Reise.
Und wie wirklich ist Ostern?
Ostern war schon immer wirklich und unwirklich zugleich – möchte ich sagen. Von Anfang an. Auch die Jünger glaubten es erst nicht. Von den Toten auferstanden – man kann es kaum glauben!
Und dann laufen sie doch los und erzählen davon und spüren diese Freude im Herzen und wissen: wir machen weiter, wir geben nicht auf. Und die Sache mit Jesus lassen wir nicht in den Geschichtsbüchern verschwinden.
Wir halten fest an seiner Botschaft. Wir tragen sie weiter und probieren Neues und halten fest am Leben für alle.
Denn das ist es doch, was uns Ostern sagen will:
Das Leben ist stärker als der Tod! Tod, wo ist dein Stachel?
Bevor die Jünger loslaufen und weiter machen und Neues ausprobieren konnten, haben sie eine Erschütterung durchlebt: erst dieser unschuldige, brutale Tod und dann das unglaubliche leere Grab.
Und trotz und nach dieser Erschütterung haben sie weiter gehofft und geliebt. Stärker und hartnäckiger als vor der Erschütterung.
Ich erlebe diese Viruszeit auch wie eine Erschütterung.
Unser soziales, gesellschaftliches und politisches Leben ist auf den Kopf gestellt. Es ist noch zu früh, um Lehren daraus ziehen zu wollen oder zu können.
Schauen Sie selbst, spüren sie, was Sie denken und empfinden.
Vielleicht wird eines vor allem und für viele deutlich: nämlich das, worauf es im Leben wirklich ankommt. Und das, was wirklich fehlt.
Ostern jedenfalls bleibt wirklich, solange wir hoffen.
Und Hoffnung ist der Widerspruch gegen Resignation, Mutlosigkeit und Zynismus.
Ein Theologe hat einmal formuliert: „Die Auferstehung ereignet sich in uns und um uns, in Seele und Geschichte. Sie schafft Neues, hier und jetzt, heute und morgen. Sie ist ein Glücksfall, sie will uns beleben. Sie will uns den Stein von der Tür des Herzens nehmen, damit unser Herz frei wird; damit unsere Herzkammern nicht Grabkammern unserer selbst sind“.
Ostern – Auferstehung. Wir stehen auf zum Leben.
Alle Ärzte und Krankenschwestern, Pflegerinnen und Pfleger tun das gerade. Alle, die sich um andere kümmern. Alle, die die Geduld behalten: sei es an der Kasse im Supermarkt oder zuhause bei den Kindern. Alle, die beistehen und Mut machen. Alle, die Musik spielen auf den Balkonen. Alle, die sich freiwillig als Erntehelfer melden. Alle, die sich für die Evakuierung der Menschen auf den griechischen Inseln einsetzen.
Ostern, wirklich Ostern wird es, wenn wir aufstehen für das Leben.
Ostern, wirklich Ostern wird es, wenn wir das Leben erkennen in seiner Einmaligkeit, in seiner Schönheit und Zerbrechlichkeit und in seiner Gefährdung.
Aufstehen für das Leben – auch angesichts von Grenzen; angesichts all der Verunsicherung und der Angst; angesichts aller Belastung, Zweifel und möglicher Verzweiflung.
Am Ostermorgen steht Maria Magdalena vor dem leeren Grab und weint.
Auch wir weinen manchmal – in unterschiedlichen Situationen, aus unterschiedlichen Gründen. Oder uns ist einfach zum Heulen zumute.
Weil Jesus Maria anschaut und einfach wieder da ist, verwandelt sich ihre Trauer in Freude.
Verwandelt sich ihre Angst in Mut.
Verwandelt sich ihre Sorge in Zuversicht.
Der Auferstandene schaut auch uns an.
Jede und jeden Einzelnen.
Leben – das ist etwas Erschütterbares.
Es ist in uns. Es ist um uns. Und es ist uns voraus.
So wie Christus selber:
Er ist in uns. Er ist um uns. Und er ist uns voraus.
Unsere Hoffnung trägt seinen Namen.
Sein Name trägt unsere Hoffnung
– österliche Hoffnung,
die das Leben verwandelt und
jeden Tag neu auf uns wartet.
Er geht uns voraus, liebe Gemeinde.
Er lebt uns voraus.
Frohe Ostern! Amen